Die Interviewerin

Die Interviewerin

Roman
Autorin/Autor:
  • Evelyn Braun

Besprechung von Julia Onken*

Ein winziger, aber wie sich zeigen sollte, vielversprechender Hinweis von meiner Tochter Maya genügte, um mir das Buch zu besorgen: «Die Interviewerin» von Evelyn Braun.

            Selten habe ich mich von einer Lektüre derartig hinreissen lassen, dass mir nicht nur mein Zeitgefühl, sondern auch sämtliche Grundbedürfnisse wie Schlaf, Nahrung und dem Wunsch nach klimatisch verträglichen Temperaturen jäh abhandengekommen sind.

Die Geschichte ist ein meisterhaft inszeniertes Kabinettstück für fünf Akteure, deren Handlungen ineinander hintergründig verwoben sind. Die Protagonistin, eine nicht nur sympathische, sondern ebenso mit sämtlichen erotisch attraktiven Verführungsattributen ausgerüstete langbeinige Journalistin, die sich um ein Interview mit einer Berühmtheit umsonst bemüht, da dieser sich entweder besoffen oder in abgeschlagener Phase der Ausnüchterung befindet und deshalb nicht ansprechbar ist, oder aber den erschlafften körperlichen und seelischen Zustand mit einer eilends herbeigeschafften Prostituierten wieder in Spannung versetzen will, was ebenfalls nicht gelingt. Dann sind da zwei Herren, ein Psychiatrieprofessor und sein langjähriger Patient, beide sich um die Gunst der Journalistin bemühend ohne jedoch voneinander zu wissen. Der Professor, eine in Fachkreisen anerkannte Persönlichkeit, von sexuellem Verlangen gepeinigt, was schwer am professionellen Therapeutenethos zu kratzen droht aber hirnakrobatisch bekämpft wird, um sinnlichem Begehren einigermassen Einhalt zu gebieten. Der andere, ein langjähriger Freund und Gefährte der Journalistin, hat wohl aus frühkindlicher Prägung eine Langzeitbeschädigung davongetragen, die ihm den operativen Bereich einer Beziehung mit direkten Körperkontakten versaut, sollte es doch einmal dazu kommen, ihn eilends die Flucht ergreifen lässt.

Die Journalistin ihrerseits nicht minder sowohl inneren, als auch äusseren Bedrängnissen ausgesetzt, allerdings etwas weniger verloren, da ihre bereits verstorbene hugenottische Grossmutter, die eine höchst emanzipierte und selbstbestimmende Frau gewiesen sein musste, was zur damaligen Zeit einem Wunder gleichkam, der Enkelin aus dem jenseitigen Offshore beisteht und sie zielsicher durch die verworrene Unbill des Alltags lotst.  

Nicht nur die Geschichte ist stark, sondern ebenso die Figuren, die allesamt mit präzisen, psychologisch ausgerüsteten Psychogrammen agieren und entweder jämmerlich stranden oder sich, wenn auch nur kurz und knapp im vorübergehenden grandiosen Höhenflug wähnen, sind tiefgründig und vor allem lebensnah gezeichnet, sondern auch die Sprache ist von durchschlagender energiegeladener Virtuosität.

Evelyn Brauns Sätze, die durchausaus und mühelos eine halbe, wenn nicht sogar eine ganze Seite zu füllen vermögen, sind Meisterwerke. Ob sie aus der analytischen Vogel- oder der subjektiven Froschperspektive schreibt, sie sind mit Feuerwehrkörpern zu vergleichen. Zunächst zündet eine Idee, einleuchtend und logisch, doch eh sich der Gedanke im Logenplatz einzunisten gedenkt, schiessen unverhofft Rauchbälle und Vulkane aus dem Hinterhalt, illuminieren Nebenschauplätze und geben den Blick frei in ein grossartiges Panorama. Wenn anderswo Schachtelsätze oft schwer Verdaubares liefern, hier sind sie erquickend und für den Geist nicht nur nährend, sondern gleichermassen höchst amüsant.

Alles in Allem: Ein grossartiges, brillant geschriebenes Buch!

 

Evelyn Braun, Die Interviewerin, Xanthippe Verlag

 

 

Inhalt: Mathilde Maas, geliebt und bewundert für ihre respektlose Schreibe, fliegt von Basel nach München, zu ihm, zum grossen G., dem Star des deutschen Literaturbetriebs.

Neben ihr, am Fensterplatz, sitzt der stadtbekannte Psychiater Prof. L., der bei ihrem Namen zusammenzuckt. Denn er kennt sie gut, zu gut. Mit all ihren Vorzügen und Eigenheiten wird sie ihm von seinem Patienten Johnny Lachmann geschildert, seit sieben Jahren, dreimal die Woche – als Traumfrau, im wahrsten Wortsinn. Nicht aus Fleisch und Blut ist sie, sondern Stoff gewordene Phantasie. Prof. L. jedenfalls, auf dem Weg zum internationalen Ärztekongress, an dem er mit seinem bedeutenden Beitrag zur aktuellen Traumforschung erwartet wird, bringt die Begegnung mit Mathilde ganz schön ins Schleudern. Etwas, was er selbst nicht mehr für möglich gehalten hätte.

Im Kopf hat Mathilde nicht nur ihren besten Freund Johnny. Sie wird auch stets begleitet von ihrer AuMa, ihrer Grossmutter Auguste Mathilde de Zut, die mit ihrem epochalen Werk Adams Rippe furios gescheitert ist. Was nach ihrem Tod zum feministischen Standardwerk wird, kam zu früh, erntete Häme und Spott. Die Saat ist bei ihrer Enkelin aufgegangen, die rebellisch und unerschrocken die Welt durchaus auch durch ihre, AuMas Augen, sieht, und das ziemlich klar.

Im Hotel Vierjahreszeiten in München, am Vorabend der Lesung des Meisters, kommt es zum grossen Finale. Nicht nur in der Bar. Aber da auch. Und danach ist alles anders…

 

* Julia Onken (* 1. Mai 1942 in Münsterlingen) ist eine Schweizer Buchautorin, Feministin und Gründerin des Frauenseminars Bodensee in Romanshorn. Ihr neuestes Buch erscheint am 28. September 2021. Titel: Klassentreffen. Einladung in die unaufgeräumte Vergangenheit. CH. Beck Verlag in München.

Werke  (Quelle: wikipedia)

  • Feuerzeichenfrau. Ein Bericht über die Wechseljahre. Beck (BsR 352), München 1988, ISBN 3-406-45996-X
  • Geliehenes Glück. Ein Bericht über den Liebesalltag. Beck (BsR 455), München 1990, ISBN 3-406-45972-2
  • Vatermänner. Ein Bericht über die Vater-Tochter-Beziehung und ihren Einfluss auf die Partnerschaft. Beck (BsR 1037), München 1993, ISBN 3-406-45992-7
  • Spiegelbilder. Männertypen: wie Frauen sie durchschauen und sich dabei selbst erkennen. Bertelsmann, München 1995; Goldmann, München 1997, ISBN 3-442-12741-6
  • Die Kirschen in Nachbars Garten. Von den Ursachen fürs Fremdgehen und den Bedingungen fürs Daheimbleiben. Bertelsmann, München 1997; Goldmann, München 1999, ISBN 3-442-15026-4
  • Herrin im eigenen Haus. Weshalb Frauen ihr Selbstbewusstsein verlieren und wie sie es wieder zurückgewinnen. Bertelsmann, München 2000; Goldmann, München 2002, ISBN 3-442-15133-3
  • Wenn du mich wirklich liebst. Die häufigsten Beziehungsfallen und wie wir sie vermeiden. Beck (BsR 1415), München 2001, ISBN 3-406-45955-2
  • Altweibersommer. Ein Bericht über die Zeit nach den Wechseljahren. Beck (BsR 1468), München 2002, ISBN 3-406-47608-2
  • Eigentlich ist alles schief gelaufen. Mein Weg zum Glück. Beck (BsR 1601), München 2005, ISBN 3-406-51108-2
  • Hilfe, ich bin eine emanzipierte Mutter. Ein Streitgespräch zwischen Mutter und Tochter (mit Maya Onken). Beck (BsR 1710), München 2006, ISBN 3-406-54151-8
  • Am Tag der weißen Chrysanthemen. Ein Bericht über Liebe und Eifersucht. Beck (BsR 1740), München 2007, ISBN 978-3-406-54758-4
  • Liebes-Pingpong. Das Beziehungsspiel von Mann und Frau (mit Mathias Jung). Kösel, München 2007, ISBN 978-3-466-30762-3; Goldmann, München 2010, ISBN 978-3-442-17204-7
  • Rabentöchter. Weshalb ich meine Mutter trotzdem liebe. Beck (BsR 1970), München 2011, ISBN 978-3-406-61338-8
  • Mit dem Herzen der Löwin. Warum Frauen ihr Selbstbewusstsein verlieren und wie sie es zurückgewinnen. Beck, August 2018, ISBN 978-3-406-72745-0
Preis Sfr: 34.80 / Preis Euro: 34.80
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Buch Details

  • Erscheinungsdatum: 27.01.2021
  • Genre: Roman
  • Medium: Buch
  • Edition: Edition Xanthippe
  • Seitenanzahl: 306
  • ISBN: 978-3-905795-70-7
  • Auflage: 1. Auflage
  • Auflage vorhanden: nicht vergriffen

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